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Gucci ist einer der goldenen Namen der Luxusbranche, der Wert des Unternehmens wird derzeit auf zwölf Milliarden Dollar beziffert, und unter der kreativen Führung von Alessandro Michele ist das Label so stilprägend wie seit den goldenen Zeiten von Tom Ford nicht mehr. Für ein paar Menschen auf der Welt bedeutet Gucci aber: die Geschichte ihrer Vorfahren. Familie. Denn die Marke, die heute zum französischen Konzern Kering gehört, war bis Ende der 1980er-Jahre vollständig in der Hand der Gründerdynastie.
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Zu der gehört Patricia Gucci. Die 53-Jährige hat ein Buch über die dramatische Familiengeschichte des Clans geschrieben. „In Guccis Namen“ stellte sie auf der Frankfurter Buchmesse vor. Man trifft sich in einem kleinen, überhitzten Besprechungsraum. Patricia Gucci trägt die blonden Haare offen, rote Fingernägel zur weißen Tunika. Ihr geschliffenes Englisch verrät die Jahre auf dem britischen Internat, die ausladenden Gesten ihre Ausbildung zur Schauspielerin. Ihr ginge es darum, die Rolle ihres 1991 verstorbenen Vaters Aldo hervorzuheben, der in ihren Augen aus der Chronik gestrichen wurde. „Er war es, der die Firma groß machte. Ohne ihn gäbe es Gucci heute so nicht.“
Eine Welt steht Kopf
Aldos Vater, der Sattlermeister Guccio Gucci, hatte das Unternehmen 1921 als Reisewaren-Geschäft in Florenz gegründet und durch den Zweiten Weltkrieg geführt. Doch erst nach Guccios Tod in den 1950ern sollte es so richtig aufwärts gehen mit Gucci. Aldo, den der Gründer als den vielversprechendsten seiner drei Söhne ausgemacht hatte, eröffnete das erste Geschäft in den Vereinigten Staaten, das italienische Luxuswaren verkaufte. Bald gehörten Grace Kelly, Rita Hayworth und Jackie Onassis zu den Kunden Guccis. Als Letztere mit einem nach ihr benannten Modell fotografiert wurde, avancierte es zum Verkaufsh*t – die erste It-Bag der Modegeschichte. Später lancierte Aldo mit dem „Cadillac Seville Gucci“ eine der ersten Kollaborationen zwischen einem Autohersteller und einer Luxusmarke.
!["In Guccis Namen": Die dunkle Familiengeschichte des Luxus-Konzerns - WELT (1) "In Guccis Namen": Die dunkle Familiengeschichte des Luxus-Konzerns - WELT (1)](https://i0.wp.com/img.welt.de/img/iconist/mobile159516806/6802501177-ci102l-w1024/ICO-Text.jpg)
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Patricia ist zehn Jahre alt, als ihre Welt auf den Kopf gestellt wird. Sie erfährt, dass sie drei Halbbrüder hat und ihr Vater, den sie nur selten sieht, gar nicht mit ihrer Mutter verheiratet ist. Aldo Gucci hatte mit 22 Jahren Olwen Price geheiratet, eine Engländerin und ehemalige Kammerzofe der rumänischen Königin, und drei längst erwachsene Söhne mit ihr bekommen. Patricias Mutter Bruna war erst als Verkäuferin in den Laden in Rom gekommen, war zur Sekretärin aufgestiegen und – stilecht, wenn auch anfangs widerstrebend – zur Geliebten des 33 Jahre älteren Patriarchen geworden. Ehebruch wurde im Italien der 50er- und 60er-Jahre mit Gefängnis bestraft, eine Scheidung war nicht möglich. Also hielten sie ihre Liebe – und ihr Kind – geheim. Immer wieder zogen Bruna und Patricia um, von England nach Italien, nach Kalifornien, wo auch immer es für Aldo am bequemsten war. Seine Frau Olwen wusste von seinem Doppelleben, akzeptierte es aber – auch zu ihrem eigenen Vorteil. Die Mutter litt immer unter der Abwesenheit Aldos und bekam Depressionen.
Als erste Frau im Vorstand
Erst als Patricia mit 18 Jahren in die Firma eintrat, lernte der Rest der Familie und die Öffentlichkeit sie kennen. In der Folgezeit sollte sie Gucci auf Abendveranstaltungen repräsentieren, sich um die Schaufenstergestaltung des Ladens in der New Yorker Fifth Avenue kümmern, als Model und Testimonial auftreten und der Marke jugendlichen Charme verleihen. Sie wurde das „Gucci-Girl“, die „New York Times“ nannte sie „das heiratswürdigste Mädchen der Welt“. Als erste Frau überhaupt nahm ihr Vater sie in den Vorstand auf.
Aber erbitterte Familienstreitigkeiten, der „Verrat“ aus dem Untertitel von Patricia Guccis Buch, sollten die Firma schließlich fast ruinieren. Aldo hatte seinen Söhnen immer mehr Anteile an der Firma überschrieben, sodass er irgendwann nur noch 40 Prozent besaß. Einer von ihnen, Paolo, zeigte seinen Vater aus Rache dafür, dass er gefeuert worden war, bei den amerikanischen Steuerbehörden an. Die stellten fest, dass Guccis Berater den Gewinn Aldos mit lediglich 100.000 Dollar im Jahr angegeben hatten. Aldo wurde aus dem Vorstand geputscht und musste für ein Jahr ins Gefängnis – eine Erniedrigung für den 81-Jährigen. „Im grellen Blitzlichtgewitter sah mein Vater nicht mehr aus wie ein geschlagener, erniedrigter Mann am schlimmsten Tag seines Lebens“, schreibt seine Tochter, „sondern wie der eiserne Dr. Gucci, der diesem Rückschlag begegnete wie jedem anderen. Nie zuvor war ich so stolz auf ihn gewesen.“
Der Niedergang Guccis
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Aber der Abstieg der Firma war in vollem Gange. 1991 verzeichnete Gucci einen Millionenverlust. Und das Familiendrama erreichte seinen Höhepunkt im März 1995, als Patrizia Reggiani ihren Ex-Mann Maurizio, einen der Gucci-Erben und Neffe Aldos, ermorden ließ.
„Es tut mir leid, dass Maurizio so endete“, sagt Patricia Gucci über den Mann, den sie für den Niedergang Guccis verantwortlich macht. „Das hat er nicht verdient.“ Seit dem Tod ihres Vaters hat sie keinen Kontakt mehr mit der Familie, abgesehen von ihrer Mutter. Und auch das hat gedauert. „Solange mein Vater lebte, wartete sie praktisch ständig auf ihn. Und wenn er dann da war, spielte ich keine Rolle“, sagt sie rückblickend. Emotional sei sie vernachlässigt worden, eine richtige Familie habe sie nie kennengelernt. Und das obwohl die Ehe ihres Vaters zu seiner Frau durch einen bürokratischen Fehler ungültig erklärt wurde und Patricias Eltern doch noch heirateten – nach mehr als 20 Jahren. Denn daran lässt die Tochter keinen Zweifel: Bruna war die große Liebe Aldo Guccis. In seinem von ihm selbst verfassten Nachruf sprach er von „seiner Frau“ Bruna Palombo und seiner „Weggefährtin“ Olwen Price. Patricia machte er zur Alleinerbin seines Vermögens.
Das Erbe des Vaters
Das Familienunternehmen indes wurde an eine Investmentfirma verkauft und gehört seit 2004 zu Kering, das Gucci zu unbekannten Höhen führte. „Tom Ford, dieses unglaubliche Marketinggenie, verlieh Gucci Sexyness“, sagt Patricia Gucci. „Gott sei Dank! Für mich wäre es furchtbar gewesen, wenn es in der Bedeutungslosigkeit verschwunden wäre.“
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Heute, sagt Patricia, verbinde sie nichts mehr mit der Marke. Am Tag des Interviews trägt sie einen Ring mit dem doppeltem G und einen Armreifen. Viele andere Stücke, die sie über die Jahre gesammelt hatte, wurden ihr vor einiger Zeit aus ihrer Londoner Wohnung gestohlen.
Was denkt sie über den aktuellen Designer Alessandro Michele, der das Label zu neuen Höhen geführt hat? „Als er anfing, dachte ich: ‚Wow, wunderbar.‘ Mein Freund hat mir neulich eine Tasche geschenkt, die ich liebe und sehr gern trage. Aber ich frage mich, wie viele Taschen dieser Art jemand brauchen kann.“
Das Erbe ihres Vaters hat ihr ein finanziell sorgloses Leben ermöglicht. Ihren Namen, den sie zwischendurch abgelegt hatte, um nicht immer mit der Marke in Verbindung gebracht zu werden, trägt sie wieder mit Stolz.
„In Guccis Namen“ von Patricia Gucci ist im Orell Füssli Verlag erschienen. Weitere Informationen finden Sie hier.
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